Leistungsmessung: Nützlich oder gefährlich?

Leistungsmessung

Wir sind uns gewohnt, Dinge zu messen. Messungen und Daten helfen uns in vielen Fällen, aus der Vergangenheit zu lernen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Messungen helfen uns zudem beim Vergleichen – nicht nur im Sport. Deshalb hat sich in wachsenden Unternehmen die Leistungsmessung auch von MitarbeiterInnen und Teams eingebürgert. Dass dies (nicht nur wenn bonusrelevant) auch ungute Nebeneffekte hat und oft zu Konflikten innerhalb einer Organisation führt, ist bekannt. Was daran ist nun wirklich nötig und wie können wir unangenehme Nebeneffekte minimieren?

Vier Gründe für Leistungsmessung

Warum genau messe ich eigentlich die Arbeitsleistung meiner MitarbeiterInnen? Vielleicht, weil man es so gelernt hat und es immer schon so gemacht hat (schliesslich hat Frederick Taylor das scientific management schon anfangs des 20. Jahrhunderts erfunden). Meist steht aber noch mehr dahinter. Vier Gründe habe ich spontan gefunden:

  • Kontrolle: Ich möchte sicherstellen, dass sie das tun, was ich für richtig halte.
  • Motivation/Zielsetzung: Ich möchte ihnen einen Anreiz geben, mehr zu leisten.
  • Qualitätssicherung/Feedback: Ich möchte den MitarbeiterInnen angemessene Wertschätzung zeigen («performance appraisal») und ultimativ nur diejenigen behalten, welche Leistung erbringen.
  • Planung: Ich möchte voraussagen können, ob wir ein gestecktes Ziel auch erreichen können

Aus diesen Motivationen für Leistungsmessung ergeben sich ganz verschiedene Effekte und Handlungsfelder.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Wenn MitarbeiterInnen nur dann das Richtige tun, wenn sie kontrolliert werden, deutet das auf ein Vertrauens- oder Motivationsproblem hin. In einem kleineren Unternehmen ist dies daher selten der eigentliche Grund für Leistungsmessung, da man die MitarbeiterInnen noch eher «im Blick» hat. Wächst das Unternehmen, kann man sich versucht fühlen, hier Prozesse einzuführen. Zum Beispiel: Kontrolle, ob sich die Mitarbeiterin um 8:00 in den Computer eingeloggt hat (= mit dem Arbeiten beginnt). Mit der Kontrolle delegiert man allerdings einen Teil der Verantwortung von den MitarbeiterInnen weg. Es entsteht ein Gefühl von Anonymität. Bald erscheinen Effekte von lokaler Optimierung und Resignation: «Ich mache das, was ich will, einfach so, dass die Kontrolle es nicht sieht». Im obigen Beispiel: Ich logge mich um 7:58 ein und surfe dann noch etwas auf einer Shoppingseite. Also Shoppingseiten sperren! Neue Schlupflöcher, immer grösserer Kontrollaufwand – plötzlich entsteht ein Teufelskreis.

Zentralisierte Kontrolle hat Effekte, die eine negative Situation eher verstärken und sollte kein verdeckter oder offener Grund für Leistungsmessung sein. Zu Taylors Zeiten mit vielen ungelernten (austauschbaren) FabrikarbeiterInnen mag dies noch die Methode der Wahl gewesen sein. Heute, wo auch die Kreativität und die Denkarbeit von MitarbeiterInnen zentral ist und Aufgaben komplexer sind, funktioniert dies nur noch begrenzt. Bessere Lösungen für solche Kontexte sind Systeme, in denen MitarbeiterInnen selber (Mit-)Verantwortung für Resultate bekommen, sie andererseits aber auch die Freiheit haben, wie sie diese Vorgaben erreichen.

Ziele und Motivation: Von obsolet bis komplex

Damit sind wir beim zweiten Thema: Leistungsmessung zur Motivation über die Erreichung von Zielen. Hier steht und fällt alles damit, wer die Ziele definiert und wie das geschieht. Werden Ziele nur jährlich zwischen Führungskraft und MitarbeiterIn definiert wie beim klassischen «Management bei Objectives» werden manche Ziele obsolet. Diese müssen dann aber wegen den Vereinbarungen trotzdem irgendwie verfolgt werden. Damit wird Leistungsmessung ad absurdum geführt.

Google’s Objectives-Key Results (OKRs) sind zwar etwas agiler, da hier die Ziele jedes Quartal überprüft werden. Teams und einzelne MitarbeiterInnen bestimmen ihre Beiträge zum Ziel stark mit. Bei OKRs wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass eine 100%-Erreichen des Ziels nicht möglich ist (da sonst vermutlich das Ziel zu wenig ambitioniert war). Eine «Leistungsmessung» ist somit auch hier problematisch: Ist ein Team, das 85% seiner Ziele erreicht hat, wirklich besser als ein Team, das 35% erreicht hat? Und was löst es aus, wenn das Management diese Teams miteinander vergleicht und diesbezüglich Feedback gibt?

Ist das, was wir «Leistungsziel» nennen, abhängig von externen Faktoren, gibt es noch einen weiteren Aspekt. Das Erreichen des Ziels ist dann nicht vollständig in der Kontrolle der Betroffenen, womit eine «Leistungsmessung» erneut problematisch wird. Kurbelt man zudem noch den Wettbewerb zwischen MitarbeiterInnen an (wer hat die Ziele erreicht, wer nicht?), empfinden die Betroffenen das als sehr unfair.

Das Stichwort hier ist Komplexität: Oft ist gerade die Wertschöpfung in einer Firma das, was nicht in der Kontrolle eines Einzelnen liegt. Wir messen also entweder nur vereinfachte «Randaspekte» (Anzahl Telefonate, gearbeitete Stunden), oder aber die Leistung eines Kollektivs untrennbar verknüpft mit den äusseren Umständen (z.B. Umsatz, Anzahl verkaufte Produkte).

Wertschätzung und Feedback: Was heisst denn hier «Leistung»?

Komplexität ist auch ein Problem, wenn «Leistungsmessung» als Grund für Feedback und Wertschätzung diesen soll. (Zum Thema Feedback in nicht eindeutig messbaren Situationen gibt es hier bereits einen Blogartikel.) Für viele moderne Berufsbilder ist «Leistung» nicht mehr einfach definierbar. Woran sieht man die «Leistung» einer Führungskraft? Ist die Leistung einer Marketingfachperson ablesbar am Umsatz? Leistet eine Softwareentwicklerin mehr, wenn in der erstellten Software weniger Bugs auftreten? Oder ein Tester, wenn er mehr Bugs findet? Hier handelt es sich in der Tat um komplexe Situationen: der Umsatz hängt auch davon ab, was die Konkurrenten tun, wie die Wirtschaftslage generell ist und wie das Sales-Team arbeitet. Die Anzahl Bugs hängt davon ab, welche Granularität man beim Erfassen von «Bugs» wählt, wieviel Risiko man bei der Entwicklung eingegangen ist (z.B. Zeitdruck, unbekannte Technologie) und wie bekannt die eigentlichen Bedürfnisse und Umstände der Kunden waren.

Ist Qualitätssicherung der Grund für Leistungsmessung, wird diese Komplexität fast immer auf wenige Aspekte reduziert. Dies führt dann zu den bekannten negativen Effekten: Messe ich die Leistung der Führungskraft an der Mitarbeiterzufriedenheit? Dann wird diese alles daran setzen, vor der Umfrage dem Team zu schmeicheln und notwendige Konfrontationen möglichst vermeiden. Messe ich die Leistung an der Anzahl gefundener Bugs, wird die Testerin versuchen, jedes kleine Detail als Bug zu erfassen. Der Entwickler wiederum wird darauf drängen, möglichst viele Bugs unter der gleichen Ursache zusammenzufassen oder sie sogar zu verstecken. Diese Aktivitäten sind jedoch in keiner Weise beteiligt an der Wertschöpfung des Unternehmens, sondern laufen dieser meist sogar zuwider.

Kann ich durch Leistungsmessung besser planen?

Leistungsmessung zur Planung der Zukunft würde ebenso voraussetzen, dass wir uns in einem wenig komplexen Umfeld befinden. Die Zukunft kann man nur dann aus Daten aus der Vergangenheit planen, wenn man annehmen kann, dass sich im Wesentlichen nichts verändert. Für einige Kontexte mag das zutreffen (z.B. Output an einem Förderband), für andere eher weniger. Die Leistung eines Softwareengineers ist nicht abhängig davon, wie viele Zeilen Code er schreibt (im Gegenteil!). Sind es im vergangenen Monat 2400 Zeilen Code, ist eine Voraussage für den nächsten Monat enorm schwierig und auch nicht sinnvoll.

Da dieses Problem durchaus bekannt ist, haben sich in agilen Settings «Storypoints» eingebürgert. Storypoints beschreiben in sehr abstrakter Weise die Komplexität einer zu erstellenden Softwarefunktion. Als Grundlage dienen die Schätzungen des Teams, das diese umsetzen wird. In Storypoints rechnet man auch die Komplexität des Umfelds ein: Weiss ich, dass für ein Feature sieben verschiedene Experten beim Kunden involviert werden müssen, steigt die Anzahl Storypoints wegen der Komplexität. Bevor ein Team mit «Storypoints» schätzen kann, ist es nötig, dass es sich selber «eicht». Man sucht gemeinsam eine Funktionalität , mit der alle vertraut sind und die als Referenz für die Schätzungen in genau diesem Team dienen kann. Sobald das Team sich personell verändert, verliert aber auch dieses feintarierte Mass schnell seine Gültigkeit.

Für die Leistungsmessung sind aber auch Storypoints nur begrenzt tauglich, da sie immer nur innerhalb eines fixen Teams eine Aussagekraft besitzen. Was passiert nämlich, wenn als Leistung gemessen wird, wieviele Storypoints Team A, B und C jeweils in einem Monatsintervall erledigen? Wenn Team A 12 Storypoints erledigt, B auf 11 kommt und die «Low-Performers (!)» von C nur auf 5, wird Team C alles daran setzen, seine Referenz-Storypoints ebenfalls etwas feingranulärer zu machen, bzw. Funktionalität eher zu überschätzen – es entsteht eine Storypoint-Inflation. Und wenn es ganz schlecht kommt, arbeitet Team B nun schlechter mit Team A zusammen, um selber mehr Storypoints für sich erledigen zu können…

5 Leitgedanken für die Leistungsmessung

Leistungsmessungen in Unternehmen sind meist verbunden mit einer Komplexitätsreduktion. Oft haben sie deswegen die oben beschriebenen negative Nebeneffekte. Zudem verengen sie den Fokus auf vermeintlich Wichtiges. Wie also löse ich das Dilemma, wenn mir Leistung doch wichtig ist?

  • Gehen Sie davon aus, dass Ihre MitarbeiterInnen grundsätzlich etwas leisten wollen (nicht umgekehrt). Vertrauen schafft Motivation, und Motivation erhöht die Leistung.
  • Organisieren Sie regelmässig Formate, in denen Hindernisse für Leistung von MitarbeiterInnen nicht nur angesprochen, sondern möglichst auch beseitigt werden können (z.B. Retrospektiven). Dann müssen Sie nicht erst global messen, sondern können lokal reagieren bevor das Problem in den Daten sichtbar wird.
  • Hinterfragen Sie regelmässig, was sie aus welchem Grund messen und ob dieses Kriterium wirklich direkt kritisch ist für die Wertschöpfung Ihres Unternehmens. Nicht alles, was gemessen werden kann, ist tatsächlich auch wichtig!
  • Berücksichtigen Sie Komplexität in der Leistungsmessung. Beurteilen Sie lieber die Leistung eines Teams als die Leistung einer Person, wenn der Erfolg nicht als Ganzes von einer Person kontrollierbar ist.
  • Schaffen Sie durch die Messungen keinen unnötigen Wettbewerb innerhalb eines Teams oder einer Firma. Entkoppeln sie Messungen wenn möglich von monetärer Belohnung, um negative Effekte zu minimieren.