VUCA, BANI oder beides? Wie Organisationen damit umgehen können

VUCA, BANI oder beides?

Vor einigen Jahren war die «VUCA-Welt» ein grosses Thema. In der agilen (Software-)Szene hatte man damit ein Schlagwort gefunden, das erklärte, warum die Zukunft der Arbeit agil sein müsste.

Ursprünglich stammt der Begriff «VUCA» aus der Führungsausbildung der US Army. In den späten 80er-Jahren stellte man dort fest, dass eine neue Art von Führung im militärischen Kontext nötig wurde, weil dieser sich zunehmend «volatile, uncertain, complex und ambiguous (VUCA)» präsentierte. Mit dem Ende des kalten Krieges

  • veränderte sich die Welt ständig und wurde zunehmend als instabil wahrgenommen (volatile),
  • wurden Prognosen und langfristige Planungen immer schwieriger, die Zukunft unsicherer (uncertain),
  • interagiert Vieles mit Vielem und hängt in komplexer Weise zusammen, Ursache und Wirkung sind oft nicht klar zu erkennen (complex)
  • gibt es zunehmend weniger klare Unterscheidungskriterien, Dinge mischen sich, Paradoxien und Widersprüchlichkeiten erscheinen, die sich nicht mehr mit einer klaren Regel lösen lassen (ambiguous).

Alles BANI, oder was?

Nun spricht man plötzlich lieber von BANI und betont manchmal sogar, dass VUCA demgegenüber obsolet geworden sei. «BANI» ist eine Zusammenstellung der Anfangsbuchstaben von «brittle, anxious, non-linear, incomprehensible«. Die Abkürzung geht auf den Zukunftsforscher Jamais Cascio zurück, der das Konzept im Artikel «Facing the Age of Chaos» ausführlich beschreibt. Er ist der Meinung, dass das VUCA-Konzept nicht mehr ausreicht, um zu beschreiben, was im Zusammenhang mit den Grenzen des Wachstums, dem Klimawandel und der Beeinflussung der Politik durch AI und Fake-News auf die Menschen zukommen wird. Im Gegensatz zu VUCA, welches eher eine Umwelt beschreibt, hat BANI eine sehr starke psychologische Komponente – es geht um Wahrnehmung und Emotionen:

  • «brittle»: Unsere Systeme geben zwar die Illusion von Stärke, sind aber zerbrechlich, vieles ist an einem «Tipping Point» und kann plötzlich in unvorhersehbarer Art und Weise zusammenbrechen.
  • «anxious»: Menschen, die diese Zerbrechlichkeit erleben, sind permanent ängstlich, wenn es um Entscheidungen geht: Alles kann katastrophale Konsequenzen haben. Dies kann zu Verzweiflung und psychischer Krankheit führen.
  • «non-linear»: Die Herausforderungen haben zunehmend mit Nonlinearität zu tun, mit der wir Menschen schlecht umgehen können. Dinge wie eine Pandemie oder der Klimawandel scheinen lange kontrollierbar und unwichtig, können sich aber sehr plötzlich stark verändern («Hockey-Stick-Kurve»).
  • «incomprehensible» – wir verstehen nicht mehr, was passiert, wir suchen nach Antworten, aber finden trotz Datenflut und Internet keine mehr.

Wie lange existiert die VUCA-Welt?

Was ergibt sich nun daraus für die VUCA-Welt? Gibt es diese noch? Schon länger habe ich mich gefragt: Ist unsere Welt seit den 80er-Jahren tatsächlich eine VUCA-Welt? Und sind die Wahrnehmungen und Emotionen von BANI tatsächlich noch nie dagewesen?

Ich habe mich in meinem Studium viel mit dem Mittelalter beschäftigt. Damals gab es auch in Europa, selbst in der Schweiz, noch öfters Kriege. Ich mag mich an eine Ausstellung in einem skandinavischen Museum erinnern, wo die Mehrzahl der exhumierten Skelette in einer ganzen Region eindeutig Spuren von tödlicher Gewalteinwirkung trugen. Auch abgesehen von Krieg und Konflikten lauerte der Tod überall – bei banalen Arbeitsverletzungen, bei Geburt eines Kindes, beim Essen von verdorbenem Getreide, bei harten Wintern. Es gab keine Sicherheit, dass der Roggenacker dieses Jahr so gedieh, dass die Familie überleben konnte (volatility, brittleness).

Auch hatten die allermeisten Menschen noch keinen Zugang zu einer Wissenschaft, die fixe Kausalzusammenhänge oder empirisches Denken überhaupt postulieren konnte (complexity). Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die Menschen eher davon ausgingen, dass die Dinge in für sie undurchschaubarer Art und nicht zwingend linear zusammenhingen. Selbst die Kirche predigte von Höllenfeuer und Verdammnis und bläute den Menschen ein, nicht zu sehr auf den eigenen Verstand zu hören (incomprehensible) und die unergründlichen Wege Gottes zu fürchten (anxiety). Und – wie sogar Cascio selbst beschreibt – Nonlinearität ist sogar die Norm in biologischen Systemen (die Seerosen auf einem Teich sehen lange überschaubar aus – plötzlich ist der Teich vollkommen zugewachsen und erstickt). Im Norden ist auch belegt, dass Christentum und alte Götter noch eine Weile parallel existierten. Offenbar störte man sich nicht zu sehr an diesen Widersprüchen – ambiguity in Reinkultur.

VUCA und die moderne Organisation

Wahrscheinlich hat sich «die Welt» als solche also nicht verändert. Die Welt ist für uns Menschen seit jeher eine VUCA-Welt: Unsicherheit, Widersprüche, schnelle Veränderungen und Komplexität gab und gibt es nicht erst seit den 80er-Jahren. Verändert hat sich aber unsere Einstellung dazu:

  • Wir haben die Wissenschaft und die Technik mittlerweile so sehr vorangetrieben, dass uns der Gedanke, nicht alles unter Kontrolle zu haben, zunehmend Mühe bereitet. Wir müssen den Umgang mit Unsicherheit erst wieder vermehrt kultivieren.
  • Wir haben die Komplexität in unsere kleinsten, überlebenswichtigsten Einheiten einfliessen lassen. Nicht einmal mehr die Nahrungsversorgung funktioniert kleinräumig. Selbst für die Kommunikation mit unseren Familien brauchen wir Technologie.
  • Unternehmen hatten sich schon im letzten Jahrhundert einem Paradigma des «scientific management» verschrieben, welches Messbarkeit, Planungen, Kontrolle auch in Organisationen in den Vordergrund stellte.
  • Eine Führung, die sich zwingend an zentraler, linearer Kontrolle und Planung orientiert, war deshalb zunehmend zum Scheitern verurteilt.

Auch wenn jetzt «BANI» moderner klingt, müssen sich Organisationen immer noch um VUCA kümmern:

  • weg von einer zentralen, standardisierten Kontrolle zu eher lokaler Selbststeuerung («Selbstorganisation»)
  • weg von einer fixen, langfristigen Planung zu kürzeren Intervallen mit ständiger Überprüfung («Agilität»)
  • hin zu einer Führung, welche die obigen Konzepte unterstützt, lokales Wissen und vorhandene Stärken bestmöglich nutzt

Die Frage ist also weniger «VUCA oder BANI»? sondern eher: «Welche Aspekte kommen mit BANI zusätzlich noch hinzu»?

BANI in der modernen Organisation

In der Tat bringt der Fokus auf Phänomene, wie sie BANI beinhaltet, noch ein paar weitere Anhaltspunkte für moderne Unternehmen:

  • Moderne Unternehmen sind oft «brittle»: Der nur schon temporäre Ausfall des Internets, bzw. eines minimalen Glieds in einer Lieferkette können die Geschäftstätigkeit schwer beeinträchtigen oder sogar vollständig zum Stillstand bringen.
  • Mitarbeitende, welche diese «Brittleness», aber auch die «Incomprehensibility» in ihrem Umfeld und der Umwelt wahrnehmen, haben zunehmend mit der Angst zu kämpfen. Diese Angst potenziert sich, da auch das eigene Unternehmen, die eigene Stelle als «brittle» wahrgenommen wird.
  • Die Vielzahl von Veränderungen, welche schon der Umgang mit der VUCA-Welt nötig machte, werden vor diesem Hintergrund zu einer zusätzlichen Belastung. Angst als psychische Grundströmung herrscht zunehmend auch im Unternehmenskontext.

Um mit diesen BANI-Phänomenen umgehen zu können, braucht es Resilienz – fürs Unternehmen, aber auch für Einzelpersonen. Sich um die psychische Resilienz der Mitarbeitenden zu kümmern, ist zwar nicht die primäre Aufgabe von Unternehmen. Dennoch können die folgenden Massnahmen helfen:

  • Nur wer überall Linearität erwartet, hat Probleme mit Nonlinearität. Nur wer davon ausgeht, dass der Mensch alles verstehen und begreifen kann, hat Probleme mit «Incomprehensibleness». Wer in einer Organisation transparent macht, dass man nicht überall von Linearität ausgeht und dass Nichtwissen etwas Normales ist, kann hier zumindest Entlastung schaffen. Für den konstruktiven Umgang mit Unsicherheit, Nichtwissen und Fehlern braucht es Führungskräfte, die dies glaubhaft vorleben.
  • Im Dialog bleiben: Klarheit von Erwartungen und Rollen gibt Halt und schafft einen sicheren Rahmen.
  • Wo immer möglich: Inseln der Stabilität und der Ruhe schaffen. Teams konstant halten, Rituale schaffen, welche auch im Chaos Halt geben.
  • Bei Veränderungen die Möglichkeit zum Lernen geben: Weiterbildung, Coaching und Mentoring kann den Stress reduzieren, mit einer neuen Situation umgehen zu müssen

Wir werden auf absehbare Zeit weder die VUCA-Welt, noch die BANI-Welt loswerden. Deshalb: Bereiten Sie nicht nur ihr Unternehmen, sondern auch ihre Führungskräfte darauf vor. Ich helfe Ihnen gerne dabei.