Produktivität, unproduktive Zeit: Warum das alles gar nicht so einfach ist

Produktivität

Produktivität ist seit dem «Efficiency Movement» um 1900 ein zentraler Begriff unserer Managementphilosophie. Sowohl Fred W. Taylor als auch Henry Ford befassten sich in dieser Zeit intensiv mit Effizienzsteigerung. Gegeben durch die wirtschaftlichen Verhältnisse beruhten die von ihnen entwickelten Prozesse vor allem auf der industriellen Fliessbandproduktion.

Aus dieser Zeit stammt der Begriff der Arbeitsproduktivität – das Verhältnis von gearbeiteten Stunden zum generierten Output. Heike Knortz zeigt in einem interessanten Beitrag auf, wie im deutschen Sprachraum aus dieser Literatur schon früh eine «Schuld» der Arbeitenden herausgelesen wurde. Mangelhafte Produktivität wurde primär den ArbeiterInnen selber angelastet: Sie waren unmotiviert und versuchten sich zu drücken! Als Konsequenz sah man auch Produktivitätssteigerungen vor allem durch Massnahmen im Bereich der Arbeitenden: Entlassung von «unproduktiven» oder Belohnung von «produktiven» Mitarbeitenden anhand des generierten Outputs 1 Ich selber habe es als Teenager im Ferienjob miterlebt, wie ein Manager Festangestellte und Temporäre mit der Stoppuhr rangierte, als wir für ein Versandhaus aus langen Gestellen Bestellungen zusammenstellen mussten – ein sehr unschönes Erlebnis. .

Grosse Teile unseres heutigen Bruttosozialprodukts werden heute nicht mehr am Fliessband erarbeitet (für die Schweiz siehe Statistik hier). Der Sachverhalt war jedoch schon am Fliessband wesentlich komplexer. Heute geht man davon aus, dass Produktivität eine Eigenschaft eines Systems und nicht der MitarbeiterInnen ist. In der Tat arbeiten selbst FliessbandarbeiterInnen nicht im luftleeren Raum. Ihre Produktivität ist abhängig von der Kapitalausstattung pro Arbeiter (Technologie, Weiterbildung), der Arbeitsorganisation, der Führung, der pro Tag gearbeiteten Stunden und von diversen anderen Umgebungsfaktoren. Wir haben hier – wie so oft – ein komplexes System ohne reine einseitige Kausalbeziehungen.

Produktive Zeit oder nicht? Wir fischen alle im Trüben!

Wenn Produktivität die Eigenschaft eines Systems ist, ergibt sich dadurch ein weiteres Problem. Es ist in komplexen Systemen gar nicht so einfach, zu definieren, welche Aktivitäten produktiv sind und welche nicht. Das gilt sowohl für die Einschätzung durch den einzelnen Mitarbeitenden, aber auch für das höhere Management (ein Phänomen bekannt als bounded rationality).

Für den einzelnen Mitarbeitenden: Auch wenn ich der Meinung bin, dass es ein bestimmtes Meeting «nicht braucht», kann ich kaum abschätzen, was die Folgen für andere oder das gesamte System sind, wenn wir es einfach abschaffen. Ich kann zwar entscheiden, ob die Teilnahme für mich unter den jeweiligen Bedingungen sinnvoll ist oder nicht. Sobald aber andere Akteure im Meeting abhängig von meinem Input sind, kann eine solche Einzelentscheidung negative Konsequenzen für das Ganze haben.

Für das höhere Management: Auch wenn es für mich nicht transparent oder direkt an Kennzahlen messbar ist, was die Mitarbeitenden in einem Meeting oder einer Weiterbildung machen, wäre es fatal, diese Aktivitäten als «unproduktiv» zu unterbinden. Sobald man Informationsflüsse ändert oder die Kapitalausstattung pro Mitarbeiter verringert, kann dies negative Auswirkungen auf die Produktivität haben.

Zudem gibt es bei dem Ganzen auch noch eine zeitliche Perspektive. Über welche Zeitspanne messe ich denn überhaupt die Produktivität? Geht es mir um einen einzigen Arbeitstag, macht es natürlich Sinn, jegliche Meetings, Kaffeepausen, Weiterbildung zu unterbinden und die Arbeitszeiten möglichst ans Limit zu strecken. Geht es mir darum, die Produktivität meines Unternehmens nachhaltig über Jahrzehnte zu erhalten, sieht es hingegen ganz anders aus.

Unproduktive Zeit minimieren, Produktivität maximieren – wie mache ich das als Führungskraft?

Komplexe Systeme reagieren mit Verzögerung, aber dann oft sehr stark und unumkehrbar auf eine zu hohe «Ausbeutungsrate» ihrer Ressourcen. Das gilt für die Fischindustrie genauso wie für ein Unternehmen, wo die Ressourcen gesunde Prozesse, gesunde Führung, Produktionsmittel und zufriedene, gut ausgebildete MitarbeiterInnen sind. Bei beiden gilt es, die «Regenerationsrate» im Auge zu behalten. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zahlt es sich dabei aus, eher auf der sicheren Seite zu irren und eher etwas mehr Regeneration zuzulassen, als minimal erforderlich.

Wie stelle ich nun trotzdem sicher, dass möglichst wenig «Zeit verschwendet» wird? Das ist einfacher, als gedacht. Kaum ein Mensch mag es, «Zeit zu verschwenden». Das System strebt also durchaus auch von innen heraus nach Effizienz – wenn man es denn lässt. Ein paar Tipps für Führungskräfte:

  • Schauen Sie genau hin, wenn eine Einzelperson oder Abteilung «Zeit verschwendet». Möglicherweise hat diese Verschwendung positive Auswirkungen, sobald man die Perspektive des Gesamtsystems einnimmt?
  • Investieren Sie proaktiv Zeit, um herauszufinden, wie Sie die Meeting-Zeit effektiver nutzen. Tun Sie dies jedoch auf keinen Fall im Alleingang, sondern immer gemeinsam mit den Beteiligten (z.B. in einer Meeting Clinic).
  • Investieren Sie proaktiv Zeit, um von den Mitarbeitenden selber zu hören, wo diese Prozessverbesserungen sehen. Was brauchen sie wirklich, um produktiv zu sein?
  • Schaffen Sie ein Bewusstsein dafür, dass auch der «Regenerierungszyklus» einen Wert hat – nicht nur für Einzelpersonen, aber auch für die ganze Organisation. Wer den Mut hat, auch Regeneration zu fördern, profitiert gemäss Systemtheorie langfristig mehr, als wer nur auf Output setzt.
  • Investieren Sie Zeit in die Regeneration Ihrer Subsysteme (Teams, Abteilungen). Diese passiert am besten in regelmässigen Workshops, wo sie sich gemeinsam neu ausrichten sowie über ihre Abläufe und Zusammenarbeit nachdenken können. Präventive Teamworkshops sind für Teams das, was Auszeit/Weiterbildung für Einzelpersonen ist!

Ironischerweise gehen Sie die Zeitverschwendung also gerade dadurch an, dass Sie gezielt Zeit investieren, diese zu beheben. Am besten mit Beteiligung der Mitarbeitenden und regelmässig.