Psychologische Sicherheit – 3 populäre Mythen

Psychologische Sicherheit

Immer wieder geht es im Zusammenhang mti Teams um «psychologische Sicherheit». Dennoch staune ich, welche Missverständnisse zu diesem Thema oft noch vorhanden sind, gerade auch bei Führungskräften. Um drei davon soll es deshalb im heutigen Blogpost gehen.

1. Psychologische Sicherheit ist da, wenn man keine Angst vor Kündigung hat

«Diese psychologische Sicherheit wäre ja schon etwas Schönes», sagt der Teamleiter, «aber wir müssen uns prioritär um die Wertschöpfung kümmern. Und wenn die Leistung nicht stimmt, müssen wir auch mal Personal abbauen. That’s business!»

Oft wird das Thema «psychologische Sicherheit» wie hier weggewischt mit dem Argument, es liesse sich schlecht mit der harten Business-Realität kombinieren. Es wird suggeriert, es handle sich dabei um ein reines «Wohlfühl»-Thema, ein «weiches» Thema aus der Psychologie. Ich habe sogar einmal ein Team erlebt, in dem nur schon beim Erwähnen des Wortes «psychologisch» verlegen gekichert wurde…

Was aber eigentlich gemeint ist: Die Sicherheit des Individuums, dass es keine negativen Konsequenzen nach sich zieht, wenn ich mich verletzlich zeige (z.B. zugebe, dass ich etwas nicht kann oder Hilfe suche) , Ideen frei äussere (auch auf den ersten Blick dumme) oder auf Probleme hinweise (die z.B. zu Fehlern führen). Mit schlechter Leistung hat das nichts zu tun, dafür umso mehr mit der Möglichkeit für Innovation oder einer guten Fehlerkultur. Und beides ist für die Wertschöpfung sehr interessant!

2. Psychologische Sicherheit entsteht, wenn die Teammitglieder Persönliches preisgeben

«Sarah redet im Team einfach nie über Persönliches. Sie weicht auch bei konkreten Fragen immer aus oder gibt nur sehr knappe Antworten. Wie kann ich sie dazu bringen, kennst du eventuell ein Spiel? Sie sträubt sich meiner Meinung nach aktiv gegen ein Klima der psychologischen Sicherheit!»

Das Reden über Persönliches ist kein Königsweg zur psychologischen Sicherheit. Es ist zwar für viele Teams eine Möglichkeit, sich besser kennenzulernen. Nicht für jeden Menschen wird aber Vertrauen vorwiegend über die Preisgabe von Persönlichem aufgebaut – es gibt auch den sogenannten «task-based trust», der entsteht, wenn man bei gemeinsamen Aufgaben entdeckt, dass die andere Person verlässlich ist. Gemäss Erin Meyer, welche sich mit kulturellen Unterschieden im Arbeitskontext beschäftigt hat, ist das gerade im westlichen Kulturraum (USA, Deutschland) sogar eher der Normalfall!

3. Psychologische Sicherheit entsteht durch radikal offenes Feedback

«Heute wollen wir am Thema psychologische Sicherheit arbeiten! Als erstes möchte ich euch bitten, euren Kollegen und Kolleginnen ein ehrliches Feedback zu geben. Was stört euch an ihrem Verhalten? Schreibt es bitte in die entsprechende Sektion im Arbeitsblatt!»

Meine Prognose: Hier wird sich die Schlange in den Schwanz beissen. Wenn die psychologische Sicherheit im Team tatsächlich noch gering ist, werden hier wenig wirklich informative Aussagen gemacht werden. Dies wird wiederum nichts zur Erhöhung der psychologischen Sicherheit beitragen.

Aber auch, wenn die Personen wirklich mit «radical candor» ihr Feedback geben (müssen), ist damit nicht gegeben, dass psychologische Sicherheit entsteht. Im Gegenteil. Wenn ich zu Sarah sage, dass es mich stört, dass sie nicht über Persönliches spricht, was ist damit gewonnen? Wenn ich Petra als die Person wähle, die am wenigsten zum Teamgeist beiträgt? Wenn ich zu Tim sage, er solle bitte auch einmal Ideen in Meetings bringen? Wenn ich Tom sage, ich fände ihn oft zu direkt und verletzend? Diese blossen Forderungen schaffen weder mehr Vertrauen, noch eine positive Fehlerkultur. Da der «Entwicklungsbedarf» nicht von den Personen selber, sondern von den KollegInnen angesprochen wird, geht es hier noch nicht einmal um das Thema «Verletzlichkeit zeigen».

Exkurs: Statt Feedback – reden wir doch darüber, was Sache ist!

Alle diese Feedbacks weichen sogar den eigentlichen Themen aus, die mehr mit dem Team als mit einzelnen Personen zu tun haben:

  • Wie gehen wir damit um, dass Sarah nichts Persönliches preisgibt? Für wen ist das warum im Arbeitskontext ein Problem? Und können wir dieses Problem vielleicht mit einer anderen Win-Win-Lösung angehen?
  • Wenn Tim keine Ideen in Meetings bringt oder Petra nichts zum Teamgeist beiträgt, ist dann wirklich nur Tim oder Petra das Problem? Oder liegt es auch daran, was die anderen tun? Was bräuchten Petra oder Tim denn, um sich einzubringen?
  • Wenn Tom «zu direkt und verletzend» ist, muss sich dann Tom ändern oder die Person, welche sich daran stört? Wer bestimmt das? Was braucht es, damit beide trotzdem so sein dürfen, wie sie sind?

Als Ausgangspunkt könnte z.B. die Frage dienen: Was würde mir helfen, dass meine Arbeit in diesem Team noch effektiver wäre? Was würde uns zu einem noch besseren Team machen? Denn auch der Problemfokus in der beschriebenen Aufgabestellung ist eher kontraproduktiv – warum nicht direkt darüber sprechen, was die Teammitglieder positiv voneinander brauchen, um gut zusammenzuarbeiten (siehe z.B. hier)?

Was kann ich als Führungskraft konkret tun?

Der Teamleiterin im Beispiel 2 würde ich also eher davon abraten, Sarah durch lustige Spiele zu mehr «Offenheit» zu zwingen. Und wie wir oben gesehen haben, ist auch das Feedback an Tim, dass er doch mehr Ideen bringen soll, nicht direkt hilfreich. Vielmehr könnte sie darüber reflektieren, welche positiven Anzeichen sie beobachtet, dass psychologische Sicherheit in ihrem Team auch ohne diese Intervention bereits vorhanden ist:

  • Wie oft äussern Teammitglieder in Meetings «dumme Ideen»? Werden diese gefeiert, oder sofort abqualifiziert?
  • Wie oft weisen Teammitglieder im Plenum auf Missstände oder Probleme hin? Wie reagiert sie selber darauf? Dürfen Mitglieder diese thematisieren, ohne darauf hingewiesen zu werden, dass sie lösungsorientierter sein müssten? (siehe dazu auch der Beitrag hier)
  • Wie oft zeigt sie sich selber vor dem Team verletzlich (z.B. in dem sie ihre Mitarbeitenden um Rat fragt, wenn sie unsicher ist, Unwohlsein thematisiert etc.)? Wie reagiert sie, wenn eine Mitarbeiterin dasselbe tut?

Hier wird klar: Der grösste Hebel im Gestalten von psychologischer Sicherheit ist und bleibt die Führungskraft. Sie lebt vor und setzt auch Regeln durch (z.B. dumme Ideen werden nicht abqualifiziert, Probleme thematisieren ist wichtig, Verletzlich sein ist ok, wer um Hilfe sucht, macht es richtig). Und das konstant – psychologische Sicherheit ist nicht etwas, was man einmalig in einem Workshop etabiliert, sondern immer wieder und jeden Tag pflegt und wachsen lässt.