Wie agile Settings Konflikte fördern – und wie man diese konstruktiv nutzt

Agile Konflikte

Konflikte haben einen schlechten Ruf, besonders in der Arbeitswelt. Wer sie hat – als Mitarbeiter:in oder als Führungskraft im eigenen Team – ignoriert sie so lange es geht, fühlt sich unwohl oder sogar hilflos («das geht niemals je wieder weg»). Sind sie ganz unübersehbar, enden sie oft in Kündigungen. Oft wäre das alles jedoch gar nicht nötig. Konflikte sind eine Möglichkeit, Teams und ganze Organisationen weiterzubringen. Gerade agile Settings sind – was leider noch zu wenig bekannt ist – darauf angelegt, dass Konflikte sichtbar werden und ausgetragen müssen. Nur wenn das Bewusstsein dafür vorhanden ist und die Konflikte konstruktiv gelöst werden, entfaltet die Agilität ihre positive Wirkung.

Warum fördert Agilität Konflikte?

Gemäss dem Scrum Guide, aber auch in anderen Ausprägungen von Agilität sind drei Dinge in agilen Teams wichtig:

  • Ein agiles Team sollte interdisziplinär sein und alle nötigen Fähigkeiten für die Wertgenerierung in sich vereinen.
  • Ein agiles Team sollte sich selbst organisieren. Führung ist grundsätzlich auf mehrere Personen verteilt, unter den Scrum-«Developers» in einem Team gibt es keine Sub-Hierarchien.
  • Ein agiles Team umfasst idealerweise weniger als 10 Personen, woran jeder und jede arbeitet, ist für alle jederzeit transparent.

Diese Voraussetzungen machen das agile Team besonders effizient und leistungsfähig. Sie sind andererseits auch oft Auslöser von Konflikten:

  • Interdisziplinarität, oder Diversität im Allgemeinen, bedeutet, dass hier Menschen mit unterschiedlichem Naturell, Kenntnissen und Erfahrungen aufeinander treffen. Hier treten deshalb auch Reibungen auf (wie in einem früheren Artikel bereits beschrieben).
  • Selbstorganisation bedeutet, immer wieder gemeinsam Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und sich abzustimmen. Hier kommt es zu Meinungsverschiedenheiten, die konstruktiv behandelt werden müssen.
  • Transparenz bedeutet, dass sich niemand verstecken kann. Man kann einander nicht ausweichen, Konflikte vermeiden ist schon mittelfristig keine Option. Auch die Scrum-Meetings (Daily Scrum, Planning, Review, Retrospektive) sind explizit darauf angelegt, Unterschiede in der Wahrnehmung sowie Schwierigkeiten des Teams und von Einzelpersonen stetig und zeitnah ans Licht zu bringen.

Die Scrum-Rollen und Konflikte: Der Fisch muss auf den Tisch!

Hand aufs Herz: In wievielen Scrum-Teams, die Sie schon gesehen haben, gibt es Spannungen zwischen dem Product Owner und dem Rest des Teams? Vermutlich in fast allen, und das ist so beabsichtigt. Scrum nämlich teilt die verschiedenen Aspekte, welche konventionelle Projektleiter:innen berücksichtigen müssen, auf drei verschiedene Rollen auf:

  • Die Ausgestaltung des Produkts, die Anliegen der Stakeholders bzw. die Vermarktbarkeit vertritt der oder die Product Owner.
  • Die Einhaltung des Prozesses, den reibungslosen Ablauf sowie die Funktionsfähigkeit des Teams überwacht der oder die Scrum Master.
  • Die technologische Vorgehensweise, Qualität und Machbarkeit vertreten die Developers.

So hat jeder dieser verschiedenen Aspekte seinen Lobbyisten oder seine Lobbyistin. Scrum personifiziert die Zielkonflikte eines Projekts. Während ein konventioneller Projektleiter diese Aspekte selbst gegeneinander abwägt, und die Konflikte für sich selber lösen oder ignorieren muss, kommen diese bei Scrum auf den Tisch. Und zwar bei jedem Intervall (Sprint) immer wieder aufs Neue, so dass basierend auf dem aktuellen Wissensstand das Team die jeweils beste und nachhaltigste Lösung findet.

Die Frage ist also weniger, ob Spannungen entstehen, sondern eher, wie Team und Aussenstehende diese bewerten. In einigen Teams herrscht die Meinung vor, der Product Owner habe einfach eine «toxische Art», bzw. es gäbe «Konflikte im Team» während andere Teams von «Diskussionen» oder «Meinungsverschiedenheiten» sprechen. Was steckt dahinter?

Meinungsverschiedenheiten oder schon Konflikte?

Wichtig ist zu verstehen, dass das Eine leicht ins Andere übergehen kann. Geht es um die Frage, wie Konflikte entstehen und eskalieren, hat sich die Skala von Friedrich Glasl als wertvoll erwiesen. Sie beschreibt die Eskalation anhand von 9 Stufen:

  1. Verhärtung: Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen den Parteien.
  2. Polarisation und Debatte: Heftige Argumentation, es entsteht ein Schwarz-Weiss-Denken.
  3. Taten statt Worte: Verbale Kommunikation verstummt, man ignoriert die Gegenpartei in Handlungen.
  4. Sorge um das Image: Die Parteien suchen aktiv Koalitionspartner, um den eigenen Standpunkt zu stärken.
  5. Gesichtsverlust: Direkte und persönliche Angriffe, um den «Gegner» blosszustellen.
  6. Drohstrategien: Um den Konflikt zu kontrollieren, drohen sich die Parteien gegenseitig mit Konsequenzen.
  7. Begrenzte Vernichtungsschläge: Die Parteien beginnen, einander Schaden zuzufügen.
  8. Zersplitterung: Ziel ist nun, die Gegenpartei gezielt zu zerstören und deren Reputation dauerhaft zu schädigen.
  9. Gemeinsam in den Abgrund: Um die Gegenpartei zu vernichten, nimmt man selbst die eigene totale Zerstörung in Kauf.

Grundsätzlich beinhalten alle wissenschaftlichen Definitionen von «Konflikt» eine subjektive Komponente. Salopp gesagt: Ein Konflikt ist dann einer, wenn irgendeine beteiligte Person diesen so wahrnimmt. Es kann zwar sein, dass auf Stufe 1-2 ein Team noch nicht von einem Konflikt sprechen will. Um eine Eskalation zu verhindern, sollten die Reibungen trotzdem auch auf dieser Stufe schon konstruktiv bearbeitet werden. Deshalb ist es nötig, dass die entsprechende Kompetenz dafür vorhanden ist. Ab Stufe 4 ist ein Konflikt meist nicht mehr teamintern zu lösen, da lösungsoffene Neutralität kaum mehr vorhanden ist.

Wie können wir Konfliktkompetenz in (agilen) Teams fördern?

Eine grundlegende Kommunikationskompetenz sowie Verständnis für die Diversität im Team können helfen, diese Konflikte als Chance für das gemeinsame Lernen zu sehen statt als Bedrohung. Diese Kompetenz kann und soll aufgebaut werden, bevor konkrete Konflikte vorliegen:

  • Sorgen Sie dafür, dass (agile) Teams verstehen, wie Konflikte eskalieren, wie es um den aktuellen Konfliktstil im Team steht und wie Agilität und das Auftreten von Reibungen zusammenhängen.
  • Schaffen Sie im Team ein Bewusstsein dafür, wie gerade die Diversität und Unterschiede zur Stärke des Teams beitragen.
  • Stellen Sie gemeinsam Teamregeln auf, wie mit Differenzen umgegangen wird und/oder schulen Sie das Team in modernen Entscheidungsfindungstechniken wie hier beschrieben.
  • Schulen Sie das Team oder zumindest die Scrum Master in mediativer Kompetenz, so dass diese Konflikte im Anfangsstadium ohne Angst und konstruktiv angehen können – aber auch wissen, wann es Zeit ist, externe Hilfe einzuschalten.
  • Nutzen Sie Fehler konsequent zur Verbesserung von Prozessen und Systemen. Das Vermeiden der «Schuldfrage» und die lösungsorientierte Herangehensweise an Spannungen ist eine wichtige Komponente in der mediativen Kompetenz!

Gerne bieten ich zusammen mit dem Mediator Lukas Widmer massgeschneiderte Workshops an, in dem diese Punkte je nach Bedarf gewichtet werden können.

(Ein ausführlicherer Artikel zu diesem Thema von Lukas Widmer und mir erscheint demnächst in der Publikation PersonalEntwickeln).